Die Praxisferne der Marketing-Wissenschaft und die möglichen Wege aus dieser Falle sind Thema der Titelgeschichte in der absatzwirtschaft 6/2012. Hier mein Editorial dazu, und, indirekt, zum 75. Geburtstag von Professor Heribert Meffert im Mai:

An einen meiner ersten Termine als Chefredakteur der absatzwirtschaft erinnere ich mich noch gut. Auf Anraten meines Vorgängers, dem langjährigen Redaktionschef Friedhelm Pälike, fuhr ich im Jahr 2000 zur Westfälischen Wilhelms-Universität nach Münster und besuchte Professor Heribert Meffert, den Granden der deutschen Marketingwissenschaft, der im Mai dieses Jahres seinen 75. Geburtstag feierte. Noch neu in der Branche, traute ich damals meinen Ohren nicht. Der bekannteste und profilierteste Marketingforscher Deutschlands ging mit seiner Disziplin hart ins Gericht. Marketing, eröffnete er mir, sei eigentlich eine “Nachlaufwissenschaft”, immer auf den Spuren der Praxis, aber nicht vorneweg. Es sei zudem praxisfern, was Meffert auch auf die zunehmende und extreme Spezialisierung seiner Kollegen zurückführte. Wer brauche schon die x-te Studie zur nächtlichen Beleuchtung von Reklameschildern in Innenstädten? Ich weiß bis heute nicht, ob das ein Scherz war oder ob es solch ein Forschungsvorhaben gab. Was aber sicher ist: Sein Thema steht immer noch auf der Tagesordnung.

 

In einer Zeit mündiger Konsumenten, globalisierter Vermarktungsstrukturen und erheblichen Rechtfertigungsdrucks für die Marketingaufwände wäre eine Forschung, die sich diesen Themen annimmt und mit fundierter Empirie asphaltierte Wege für die Unternehmen weist, von immensem Nutzen. Es gibt sie, keine Frage, aber eher als Ausnahme von der Regel. Das hat zwei Gründe: Zum einen gibt es Wissenschaftler, die bekommen den Know-how-Transfer einfach nicht hin. Zum anderen begünstigt das akademische System praxisferne Wissenschaft, weil es nicht den Brückenschlag von Theorie zur Praxis prämiert, sondern die Publikationen in hochwissenschaftlichen Journalen. So strebt der akademisch-ehrgeizige Marketingforscher nach Veröffentlichungen in den sogenannten A-Journals, unter denen das “Journal of Marketing” das renommierteste ist. Das bringt Prestige, und durch Ratingpoints im Sinne des deutschen Wissenschaftsbetriebs auch Geld. Was die Unternehmen davon haben?
Durch den langwierigen Peer-Review-Prozess der Journale sind die Inhalte auf Monate, teils auf Jahre verloren. Enmal abgesehen davon, dass nach Meffert´scher Lesart viele dieser Inhalte ohnehin nur theoretischen Wert haben oder so speziell und komplex sind, dass sie Praktiker nicht verstehen.

Zeit für ein paar klare Worte zu diesem Thema. Im Gedankenaustausch mit Professor Dr.
Björn Bloching und seinem Kollegen Rainer Balensiefer von Roland Berger Strategy Consultants ist die Idee zur Titelstory dieser Ausgabe gereift: ein Round Table über “Rigor and Relevance”, dieser für die Marketing-Wissenschaftler offenbar schwer zu haltenden Balance zwischen wissenschaftlicher Stringenz und wirtschaftlicher Bedeutung.
Das Schöne an dem Gespräch: Es gibt Lösungen.