Wer, wie ich, von Print begeistert ist, der muss einfach genauer hinschauen, ja am Papier riechen, wenn eine Zeitschrift wie der Stern, 1948 von Henri Nannen gegründet, überarbeitet wird …

Ich muss einräumen: Mich haben die Blattmacher des Wochenmagazins Sterns mit ihrem Relaunch letzte Woche glatt korrumpiert. Wer eine 14seitige Bildstrecke mit Schwarzweiß-Aufnahmen der Fotografenlegende Sebastian Salgado ins Heft rückt, der hat erst einmal mein Herz gewonnen. Es bereitet mir dann schon Mühe, angesichts dieser Schönheit wieder auf Distanz zu gehen und das Heft neutral zu betrachten. Gemein! Großartig! Und eben typisch Stern. Das Bekenntnis zum dramatischen Foto bleibt, die Bildredaktion des Stern ist dem gelangweilten Fotoeinsatz im Spiegel und dem bemühten im Focus überlegen und prägt die Zeitschrift. Der Stern versteht es als einziges der drei großen deutschen Magazine, die emotionale Kraft von Fotografie einzusetzen und zu nutzen.

Der Stern für einen EuroDer Versuch der Sterns, neue Elemente wie eine doppelseitige Infografik ins Heft zu nehmen, diesmal zu den Finanzen des VW-Konzerns, kann funktionieren, bedarf aber noch des Feinschliffs. Grafiken sollen ja Komplexität reduzieren, bei dieser Grafik muss man aber schon ziemlich genau hinsehen, um nicht den Überblick zu verlieren. Die Typographie des neuen Stern ist aufgeräumt und mit der mutigen Serifenschrift als Titelschrift modern. Die bekannten Schmankerl des Sterns haben ihren Platz. Die Luftblasen haben etwas an Platz eingebüßt, Haderer prangt wie eh und je, Chefredaktionsmitglied Hans-Ulrich Jörges nimmt Berlin aufs Korn und Til Mette hat für seine Cartoons weiter eine Seite. Stern bleibt Stern.

Optisch und strukturell macht der Stern also erst einmal einen guten Eindruck, aber es ist auch wie mit des Kaisers neuen Kleidern. Ein neues Gewand hilft nicht, wenn sich der Typ in den Klamotten nicht auch einen Ruck gibt. Und der fehlt. Die schon erwähnte Salgado-Strecke, Michael Gorbatschow, katholische Pfarrer, die sich für Frau statt Amt entschieden haben, eine gefällige, aber nicht mal ansatzweise investigative und deshalb etwas langatmige Geschichte über die ach so bösen Steuerberatungsgesellschaften. Das ist journalistisch nicht mehr als Nummer sicher. Und zu wenig, um dem erodierenden Leser- und Auflagenschwund entgegenzuwirken. Zumal in einem Heft, das für einen Euro verscherbelt wird, um den Absatz anzukurbeln. Der Stern hat laut IVW-Auflagenprüfung seit Ende 2010 50.000 Abonnenten verloren und verkauft zudem 57.000 Hefte weniger am Kiosk. Damit befindet er sich in bester Gesellschaft. Auch Gattungsprimus Spiegel schwächelt. 33.000 Abos sind ihm verloren gegangen und 68.000 Stück im Einzelverkauf. Dem Münchener Focus, ohnehin der kleinste Titel der drei, sind 23.000 Abonnements abhanden gekommen. Der Trend zeigt für alle drei weiter nach unten.

Nun muss sich ein Relaunch auch erst ein wenig einmendeln, ankommen bei den Lesern, bei den Blattmachern in Fleisch und Blut übergehen, eine Balance finden. Deshalb muss man auch dem neuen Stern Zeit einräumen um unter Beweis zu stellen, was in ihm steckt. Journalistisch darf es ein bißchen mehr sein. Damit es auch einen Stoff im Heft gibt, der der seltsam langweiligen Titelseite mehr Wumms verleiht. Sonst hilft die Werbekampagne, die die Berliner Agentur Heimat dem Stern geschneidert hat, auch nur wenig.

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Was mich beim Stern immer wieder am meisten wundert ist, dass er eigentlich alle Voraussetzungen hat, die Kraft einer Markenfamilie auszuspielen. Stern, View, Neon, Stern.de, SternTV (losgelöst von der Muttermarke). Wer hat das schon? Und warum macht Gruner und Jahr nichts daraus? Überall prangt der Stern, aber alle agieren, als hätten sie nichts miteinander zu tun. Suchen Sie mal auf stern.de nach der großartigen Inszenierung des Printrelaunchs. Nada. Bis auf eine (sic!) dpa-Meldung zum Thema. Chefredakteur Dominik Wichmann kündigt darin eine neue Digitalstrategie an. Ja bitte! Ganz ganz schnell!

Ein Making-off des neuen Sterns finden Sie hier.