Bereits im Frühjahr 2015 erschien die Studie „Brands Ahead – Die Zukunftsfähigkeit der Marke“. Sie will sich partout nicht zu weit von meinem Schreibtisch entfernen und widersteht allen Aufräum- und Altpapieraktionen. Warum nur? Eine Nachbetrachtung.

Bildschirmfoto 2015-12-18 um 12.48.49Es ist schon einige Monate her, dass Hartmut Scheffler, Chef von TNS Infratest, und Alessandro Panella, Chief Strategy Officer der Werbeagentur Grey, die Studie “Brands Ahead” im Marketing-Club Düsseldorf vorstellten. Übrigens in den Räumen des Unternehmens 3M in Neuss, das gerade seine Marke überarbeitet hatte. Das passte also bestens, und überhaupt ist mir der Abend in sehr sehr guter Erinnerung geblieben.

Korridor statt Schmalspur

Das grundsympathische an der Studie ist, dass sie nicht – wie so viele andere – den vermeintlich einen und unbedingt zu beschreitenden Weg aufzeigen will. „Brands Ahead“ leuchtet vielmehr die Polaritäten und Korridore aus. Zwischen autokratischer und partizipatorischer Führung der Marken. Zwischen Nutzen und Kontext, also dem Lebenszusammenhang des Konsums. Zwischen der Vielfalt der Kanäle und der Tiefe des Dialogs. Zwischen der Komfortzone der angestammten Warengruppen und der Konvergenz der Kategorien. Zwischen dem Markenkern und den unendlichen Chancen und Risiken, ihn im besten Falle zu schützen oder aber im schlechtesten Falle aufzuweichen.

Potemkinsche und echte Marken

Auch die Autoren der Brands Ahead-Studie verweisen auf jenes weithin bekannte und besorgniserregende Ergebnis einer anderen Untersuchung, “Meaningful brands” von Havas, wonach die meisten Menschen nicht bemerken würden, wenn ein Großteil der Marken vom Markt verschwände. Aber… was soll´s? Viele „Marken“ leben ohnehin nicht aus innerer Markenkraft sondern von Vertriebspower und niedrigen Preisen, sind nur potemkinsche Marken im Sinne von Branding und Eintragung ins Markenregister, aber eben ohne Entsprechung in Herz und Kopf der Verbraucher. Relevanz entsteht nicht durch Werbung oder die bloße Behauptung, eine Marke zu sein, sondern im wahren Leben. Im Übrigen muss man die Havas-Studie genau lesen: Marken sind für die Menschen nur dann verzichtbar, wenn es in dem betreffenden Segment noch eine andere Marke gibt.

Führungsebene eins

Die Brands-Ahead-Studie liefert ein Koordinatensystem fürs Nachdenken über Marken im Allgemeinen und über die eigenen Marken im Besonderen. Nicht mehr. aber auch nicht weniger. Und das ist in dieser Zeit, in der die Marke immer wieder totgesagt und über das Thema viel zu viele von Ego und Eigennutz geprägte Diskussionen geführt werden, ein Gewinn. Zumal die Studie meines Erachtens eines ganz deutlich macht: Markenführung kann nur Chefsache sein. Entscheidungen zu Positionierung, Leistung und Haltung einer Marke dürfen nicht in der Hierarchie, noch dazu in einer verästelten und einer hohen Fluktuation unterworfenen, getroffen werden. Sie gehören auf die Führungsebene eins, damit eine Marke in ihrem immer komplexer werdenden Umfeld als identitätskonformes und damit verlässliches Angebot in den Markt entlassen wird.

„Brands Ahead“ bietet dafür als Management-Rahmen die drei Dimensionen Brand Contest, Brand Content und Brand Context an, „3 C“ also.  Gut für den Hinterkopf, als einfaches Koordinatensystem, und glücklicherweise von den Autoren nicht als „Tool“ oder „Methode“ propagiert.

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Hier noch einmal die Schlüsselergebnisse der Studie „Brands Ahead“, wie sie die Herausgeber Deutscher Marketing-Verband, Markenverband, TNS Infratest und Grey kommuniziert haben:

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Quelle: Brands Ahead 2015

– Etablierte Treiber bleiben, müssen aber neu interpretiert werden.

Als „immer wichtig“ werden bekannte Aspekte, wie Vertrauen, Kundenorientierung, Leistungsversprechen und Haltung/Leitbild eingestuft. Spannendes Indiz für Marke im Wandel ist der Alterssplit. Während das Segment 50+ eher klassischen Faktoren eine hohe Zustimmung gibt, gewichten die jüngeren Marketer die Dialogfähigkeit höher.

– Konzentration versus Komplexität: Der Spagat zwischen dem klar definierten Markenkern und den multiplen Instrumenten der Markenführung.

Prototypisch für den Spagat zwischen Komplexität und Konzentration ist der hohe Zustimmungswert dafür, dass Marken nicht demokratisch geführt werden müssen, als auch dafür, dass Marken partizipatorisch zu denken sind. Hier braucht es das richtige Gespür für die Balance: Einbeziehen der Stakeholder ja, aber danach klare Entscheidungen Top-down.

– Relevanz entsteht durch Kontext. Persönliche Bedeutung entsteht durch flexibles Handeln im Lebensumfeld.

Relevanz erhält im Gegensatz zur statischen Marken-Positionierung eine deutlich dynamischere Facette. Sie muss den Wandel situativer Stimmungen reflektieren. Die Fähigkeit zu reagieren statt zu agieren gewinnt an Bedeutung.

– Dialogtiefe schlägt Dialogbreite. Dialog-Qualität ist wichtiger als die Vielfalt der Dialog-Plattformen.

Gerade vor dem Hintergrund der Digitalisierung der Kommunikation ergibt sich ein nahezu homogenes Bild: die reine Dialogmöglichkeit erlaubt noch keine Differenzierung. Aber die Investition in guten Dialog kann Relevanz und Präferenz treiben.

– Mehr Empathie statt nur Technologie. Der Maßstab für Innovationskultur ist der Mensch mit seinen Bedürfnissen.

Innovationsfähigkeit wird stärker für die eigene Marke eingestuft als für Marken insgesamt – ein interessanter Selbstbild-Fremdbild-Kontrast. Entscheidend ist die hohe Zustimmung dafür, dass sich Innovation erst in den Augen der Verbraucher „entscheidet“.

– Haltung vs. Funktion. Werteversprechen ergänzt Leistungsversprechen. Marken müssen für den Wettbewerb auf beiden Ebenen gerüstet sein.

In dem Wissen darum, dass Werte nicht pauschal eine Marke zukunftssicher machen, wird eine klare und gelebte Wertehaltung von Marke von nahezu allen Befragten bejaht, so wie das hinter jedem Trend hinterherhecheln als zukunftsgefährdend gesehen wird. Es gibt ein deutliches „Ja“ zur Klarheit und ein ebenso deutliches „Nein“ zu Aktionismus und Aufgreifen jedes Hypes und jeder Mode.

„Brands Ahead“ wurde in 2014 erhoben. Auf eine qualitative Phase mit mehrstündigen Interviews und Round-Table-Gesprächen mit 22 Marken-Verantwortlichen folgte eine quantitative Befragung von 139 Unternemenschefs und Marketingleitern.