SAM_1702

Das 1900 gegründete Traditionshaus schließt Ende März 2016. Damit verliert Düsseldorf eine Institution. Foto: -ber

 

Zu meiner Vorstellung von Lebensqualität gehören die Orte, an denen die Bücher sind. Nicht nur meine eigenen, sondern auch die in Stadtbüchereien und Buchhandlungen. Insofern gibt es schlechte Nachrichten: Der Stern-Verlag in Düsseldorf, so erfuhr ich aus der „Rheinischen Post“, schließt Ende März 2016 seine Pforten.

Dies las ich ausgerechnet, als ich im Café eben jenes Stern-Verlags saß. Zuvor hatte ich mich in der Buchhandlung mit ihren vielen Winkeln und Zwischengeschossen verlaufen. Passiert mir immer wieder, und das gehört für mich zum Stern-Verlag-Erlebnis dazu. Diesmal war ich versehentlich im ersten Stock im Antiquariat gelandet. Merke: Erster Stock ist im Stern-Verlag nicht erster Stock. Und so erfuhr ich an Ort und Stelle, bei Capuccino und Zeitungslektüre, dass diese Unübersichtlichkeit und Vetracktheit der 8000 Quadratmeter großen Verkaufsfläche ein Grund dafür sein soll, dass sich das Haus nicht mehr wirtschaftlich betreiben lässt.

Das macht schlechte Laune. Seit 2000 arbeite ich in Düsseldorf. Für absatzwirtschaft.de haben wir einige Jahre lang mit dem Stern-Verlag kooperiert und gemeinsam Marketing-Fachliteratur angeboten. Nachdem ich 2011 nach Düssdorf gezogen war, wurde der Stern-Verlag schnell zu einem meiner Lieblingsorte. Schmökern, mich vom Personal beraten und auf neue Ideen bringen lassen, herum- und verlaufen und dabei Entdeckungen machen, einen Kaffee trinken, Zeitung lesen … bald ist das alles vorbei.

SAM_1697

Kein leeres Versprechen: Willkommenskultur im Stern-Verlag. Foto: -ber

In jeder Phase meines Lebens gab und gibt es Orte mit Büchern, die mir besonders wichtig waren beziehungsweise sind. Als Kind war es ein Schreibwarenladen in Lünen-Süd, der auch Jugendbücher verlieh und mir das Reich von Winnetou und Old Shatterhand, Kara ben Nemsi und all den anderen Helden von Karl May eröffnete. Dort stieß ich auf die „Fünf Freunde“ von Enid Blyton und auf die bis heute erfolgreichen „???“. Was man in den 1970er-Jahren so las als Junge.

Als Jugendlicher war es die Stadtbücherei im selben Stadtteil, wo ich Abenteuerromane und Krimis auslieh, und wo mir die Bibliothekarin irgendwann „Ulysses“ von James Joyce in die Hand drückte – „Versuch das mal!“. Dafür bin ich bis heute dankbar. Erst dachte ich, das Buch wäre ein schlechter Scherz, aber ich habe mich durchgearbeitet, zweimal, und sehe seither Bücher mit anderen Augen (auch wenn die Vorliebe für Krimis nie nachgelassen hat). Wenn ich heute Freude an guter Literatur und Lyrik empfinde, dann hat das weniger mit dem Deutschunterricht als mit den Gesprächen und Tipps aus dieser Stadtteilbücherei zu tun.

Im Studium dann… nun, die Universitätsbibiliothek in Dortmund ist keine Schönheit, aber die Fachbereichsbiblothek Journalistik hatte es mir angetan. Mein Lieblingsort in Dortmund war jedoch das alte Institut für Zeitungsforschung. Auf Mikrofiche historische Zeitungen lesen und auswerten – diese Schatzsuche hatte was. Mittlerweile verfügt Dortmund in der Innenstadt, gegenüber dem Hauptbahnhof, über einen Bibilotheksneubau, in dem unter anderem das Institut für Zeitungsforschung, aber vor allem die Stadt- und Landesbibilothek untergebracht ist.

In Dortmunds City gab es darüber hinaus die wunderbare Buchhandlung Krüger. Sie war von der Atmosphäre und vom Anspruch her so etwas wie der Dortmunder Stern-Verlag, musste aber schon vor Jahren dem Ansturm der Buchhandelsketten und der Amazonisierung des Geschäfts Rechnung tragen. Es war ehrenwert, dass die Mayersche Buchhandlung, die mit ihrer Filiale in der Dortmunder City zu den Schwierigkeiten von Krüger beigetragen hatte, das Traditionshaus übernahm und wohl ernsthaft weiterführen wollte. Schließen musste Krüger aber dann 2009 doch, offenbar, weil der Mietvertrag nicht verlängert wurde.

Jammerschade. Das angekündigte „Aus“ für den Stern-Verlag erscheint mir deshalb wie ein Déjà-vu. Wie Bücher Krüger vereinte der Stern-Verlag einige Qualitäten, die einen Bücherort für mich ausmachen: Ein breites Angebot, das über Tiefe verfügt, Überraschungen bereit hält und zu ausschweifenden Entdeckungsreisen einlädt. Kundige, freundliche und inspirierende Verkäufer und Verkäuferinnen. Ein Café. Eine Atmosphäre, und damit meine ich nicht den in die Jahre gekommenen Ladenbau, die zum Genuss von Gedrucktem einlädt. Das Gefühl, beim Anlesen, Nachfragen oder Stöbern alle Zeit der Welt zu haben und sich im Universum der Bücher für eine Weile verlieren zu dürfen… .

Bücher kaufen kann man an vielen Orten, mit Büchern verweilen jedoch nicht.