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Mit meiner Schriftsprache gehe ich hin und wieder zur Kur. Damit sie klar und verständlich bleibt und vor allem weiter das erzählt, was ich wirklich denke oder empfinde. Bücher in guter Sprache zu lesen ist dafür ein bewährtes Hausmittel. Lyrik zum Beispiel. Aber auch manche Texte über Sprache wirken heilsam gegen Irrungen und Wirrungen beim Schreiben.

In meiner Hausapotheke habe ich seit gut 30 Jahren einen Essayband stehen, der wahre Wunder vollbringt: „Redens Arten – Über Trends und Tollheiten im neudeutschen Sprachgebrauch“ von Dieter E. Zimmer, Autor, Herausgeber, Übersetzer 40 Jahre lang Redakteur der Wochenzeitung Die Zeit. Dieses Buch begleitet mich nun durch 30 Jahre Journalismus und Kommunikation. Zugegeben, es gibt Phasen, in denen staubt es jahrelang vor sich hin. Aber kürzlich entsann ich mich seiner, als ich über einem Blog-Thema grübelte, und siehe da – es erfüllt weiter treu seinen Zweck. Ausführungen wie diese sind zeitlose und amüsante Prüftsteine für Texte, fremde wie eigene:

„Eine besondere Karriere hat das Adjektiv -fähig gemacht. Wenn Kontrahenten (die im übrigen keine Gegner, sondern Vertragspartner sind) dialogfähig, nämlich fähig zum Dialog sein können: warum dann nicht auch konfliktfähig und zukunftsfähig und friedensfähig? Aber was hat man sich unter einem sozialfähigen Zeitgenossen vorzustellen? Einen gesellschaftsfähigen jedenfalls nicht. Von hier ist es nur noch ein kurzer Schritt zum verhandlungs- oder kompromissfähigen Papier, und es fällt gar nicht mehr auf, dass damit dem Papier eine Eigenschaft zugesprochen wird, die eigentlich der Urheber haben müsste.“
Dieter E. Zimmer in „Neudeutsch – Trends und Triften“ im Buch „Redens Arten“.

Wenn man wie ich über Marken und Marketing schreibt, klart ein Text mit dem Titel „Wörter empor – über die Verschönerung der Welt mit sprachlichen Maßnahmen“ den Blick auf Vokabular und Aussagen der Disziplin. Auch „Der Jargon der wahren Empfindung: Psycho-Deutsch“ hat nichts von seiner Relevanz verloren. Haben Sie sich heute auch schon eingebracht? Zu den „Wörter(n) und Fahnen“ von damals in der Ausarbeitung über „Politik als Sprachenkampf“ wünscht man sich angesichts der Trivialisierung der aktuellen politischen Auseinandersetzung fast zurück. Zimmer schließt mit Worten, die auch nach 30 Jahren das ganze Dilemma des politischen Diskurses von heute erfassen:

„Man kann nur versuchen, selber in diesem Sprachkampf nicht ganz hilflos hin- und her geworfen zu werden. (…) Man darf auf eine unannehmbare Sache nicht hereinfallen, weil sie einem in einem harmlosen Begriff oder sogar stattlichen Sprachkostüm angeboten wird. Man darf sich von dem emotionalen Nimbus, in dem manche Wörter plötzlich erstrahlen, nicht mitreißen lassen. Man muß sich darüber im klaren bleiben, daß viele Wörter, die scheinbar nur unschuldig benennen, bereits eine Beurteilung der benannten Sachverhalte enthalten und damit zu Handlungen herausfordern und mittelbar doch Fakten setzen.“

Zimmers Text über den „Argan-Effekt“ und mithin über die „Liebe zur Pseudowissenschaft“ würde ich heute noch bedenkenlos als Lehrmaterial für angehende Redakteure einsetzen. Der Titel bezieht sich übrigens auf Molières Hypochonder in “Der eingebildete Kranke”. Der Doktorand Argan besteht seine Promotion mit pseudowissenschaftlichem Geschwafel. Seine Doktorväter sind hellauf begeistert. Was Dieter E. Zimmer unter anderem an Zahnpasta-Werbung und „Toxine in einer Mauer aus Plaque“ erinnert. Wer wohl in den 1980er-Jahren damit geworben hat? Egal. Ich werbe hier schmunzelnd und begeistert für „Redens Arten“. Das Buch gibt es auf Amazon gebraucht ab einem Cent. Sie lieben Sprache? Kaufen.

P.S.: Genauso antiquarisch wie das Buch erscheint die Website von Dieter E. Zimmer. Der Nutzer wird aber durch viele lesens- und bedenkenswerte Texte im PDF-Format oder als HTML fürs Verweilen auf der Seite mehr als entschädigt.