Weihnachten 2023 – Wer wollen wir sein?

In meiner Küche steht eine winzige Krippe. Trotz ihrer Schlichtheit geht natürlich das ganze Kopfkino los: die Weihnachtsgeschichte, der Stern, Caspar, Melchior und Balthasar, das Licht und die Hoffnung, die Lieder … Und dann sind da der Schmerz und die Traurigkeit, die sich unweigerlich melden.

veröffentlicht auf Linkedin im Dezember 2023

Mal ehrlich, das mit der Herberge und der Nächstenliebe bekommen wir nicht mehr so gut hin. Wir haben es zugelassen, dass die Menschen, die zu uns flüchten, zu einem anonymen „managebaren“ Phänomen geworden sind. Migration, Migranten – vom Wortstamm her sind es sachliche Begriffe. Aber in der Ausschließlichkeit und Vehemenz, in der sie die gesellschaftlichen und politischen Äußerungen mittlerweile beherrschen, interpretiere ich sie als Verstoß gegen § 1 des Grundgesetzes. „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, steht da geschrieben, und weiter: „Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlicher Gewalt.“ Die Rede ist von Menschen, nicht von Deutschen und auch nicht von Bundesbürger:innen. Aber vielleicht schläfert es so manches Gewissen ja aufs Angenehmste ein, wenn man nicht von Frauen und Männern, Mädchen und Jungen, Familien und Partner:innen redet, die vor Krieg, Repression und den Auswirkungen des Klimawandels zu uns fliehen, sondern sie in entpersonalisierter, technokratischer Sprache versteckt.

Ich finde es furchtbar, wie Flüchtende unter dem Druck der Ewiggestrigen und Rechtsaußen für die Versäumnisse der letzten Jahre verantwortlich gemacht werden. Als wären die Wohn- und Bildungsmisere, die Überforderung und Unterfinanzierung der Kommunen allein durch sie und nicht durch eine zögerliche, ihre Verantwortung negierende und zur Priorisierung unfähige Politik ausgelöst worden. Stattdessen lese ich, dass sich sogar CSU-Politiker physische Gewalt gegen Flüchtende an unserer Grenze vorstellen können. Das kannten wir bisher nur von einer anderen Partei …

Ja, mir ist deutlich bewusst, dass Integration nicht immer funktioniert und sich manche Menschen auch nicht integrieren lassen wollen. Aber rechtfertigt dies den „Asylkompromiss“ der EU? Die Einigung ist zum Fremdschämen. Ich nehme es meiner Partei, der SPD, wirklich übel, dass sie diesen Verrat an der Menschenwürde mitgetragen hat. Schnellverfahren, Haftlager, Abschiebung in sogenannte sichere Drittländer – echt jetzt? Wie verträgt sich das mit dem Grundrecht auf Asyl, das nach dem Holocaust und weiteren Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Nazi-Deutschland für das Staatswesen der Bundesrepublik konstituierend und unabdingbar ist? Von meinem Entsetzen darüber, wie viele flüchtende Menschen im Mittelmeer sterben müssen, einmal ganz abgesehen.

Weihnachten 2023 wirft die Frage auf, wer wir sein wollen. Als Gesellschaft, als Staat. Kleiner hab ich’s nicht. Ich jedenfalls bleibe im Team Merkel. Wir schaffen das – wenn wir es ernst meinen mit unserem ersten Artikel des Grundgesetzes. Oder anders gesagt: Wenn es uns wichtig ist.

Frohe Weihnachten.


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