60 Jahre Marketing-Club Düsseldorf und die Fracht des Unbewältigten

Zum 60.IMG_0206 Geburtstag des Marketing-Clubs Düsseldorf habe ich eine kleine Geschichte des Marketings in Deutschland aufgeschrieben. Der folgende Text erschien leicht gekürzt auch als Sonderveröffentlichung in der Westdeutschen Zeitung. 

 

 

Von Christoph Berdi

Das Marketing erreichte Deutschland via Düsseldorf, und sein Importeur hieß Dr. Herbert Gross. Der Gründer des hier beheimateten „Handelsblatts“ hatte das Konzept der markt- und kundenorientierten Unternehmensführung auf seinen Reisen in die USA kennen- und schätzen gelernt. Als einer der ersten Journalisten und Wirtschaftsexperten sah er im Boom der 1950er-Jahre eine Marktsituation voraus, in der die Unternehmen den Absatz ihrer Waren stärker forcieren und an die Bedürfnisse des Marktes anpassen mussten.

Soziale Marktwirtschaft und  “Wohlstand für alle”

Es war eine volks- und betriebswirtschaftliche Sensation: Zehn Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs brummte die „soziale Marktwirtschaft“ und ihr Architekt Ludwig Erhard versprach „Wohlstand für alle“. Im Wirtschaftswunder verwandelten sich die Deutschen in Konsumenten. Ein gutes Jahrzehnt nach dem Horror des Naziregimes, des Holocausts und des Zweiten Weltkriegs glitten die Menschen von der entbehrungsreichen Nachkriegszeit in einen bis dahin nicht gekannten Konsumrausch hinüber. Gutes Essen, die neue Lust auf Reisen und die Sehnsucht danach, sich etwas leisten zu können, führten zu einem starken Verkäufermarkt. Deshalb funktionierte die damals übliche Absatzpolitik erst einmal weiter gut: Vereinfacht gesagt verkauften die Unternehmen das, was vom Band fiel. Nachfrage gab es ja genug. Die Rückkopplung mit Markt und Kunde, die das Marketing heute kennzeichnet, fehlte damals noch. Aber es zeichnete sich ab, dass die Produzenten immer stärker um die Gunst der Käufer werben mussten. (more…)

Das Marketing und die Wissenschaft…

Als Chefredakteur der absatzwirtschaft war es eines meiner Dauerbrenner-Themen, über die praxisferne der Wissenschaft und die tiefe Kluft zwischen Theoretikern und Marketern zu klagen. Diese Nadelstiche in den den Panzer des Universitätsbetriebs fanden auch andernorts Beachtung, und für das Wirtschaftsmagazin Energo, herausgegeben von einigen Stadtwerken im Ruhrgebiet, griff ich dazu auch in die Tasten:

Mitunter hat das Marketing in den Unternehmen einen schweren Stand. Kaum zeigen sich erste Krisenwölkchen am Firmament, werden Marketingetats und Werbeetats beschnitten, Personal reduziert und Fakten beiseite geschoben – nämlich dass Marketing eine Investition in den Erfolg von morgen und übermorgen ist. Leider fällt es Marketers mitunter schwer, dies zu belegen oder gar vorzurechnen, wie hoch denn der sogenannte „ROMI“, der „Return on Marketing
Investment“ eigentlich ist. Auch über 50 Jahre, nachdem das Marketing aus den USA nach Deutschland kam, sind also grundlegende Fragen zu diskutieren. Und man sollte meinen, dass die Marketing-Wissenschaft nichts Besseres zu tun hätte, als den Praktikern bei diesen Themen zu assistieren und Lösungen anzubieten.

Aber weit gefehlt. Anders als zum Beispiel in Naturwissenschaften, in denen neue wissenschaftliche Erkenntnisse in Windeseile ihren Weg in die unternehmerische Praxis finden, passiert im Marketing herzlich wenig. Das hat zwei Gründe: Erstens ist das ganze akademische Anreizsystem nicht darauf ausgerichtet, praxisrelevantes Wissen zu generieren. Wer als Marketing-Wissenschaftler etwas auf sich hält, produziert hochwissenschaftliche Beiträge für akademische A-Journals, für deren Lektüre Praktikern die Zeit fehlt und die sie inhaltlich oft schlicht überfordern….

Die Forschungsergebnisse zirkulieren somit praktisch nur in- nerhalb des akademischen Betriebs. Doch nicht nur das: Zweitens sind auch die Themen wenig brauchbar. Marketing gilt selbst unter seinen prominentesten Vertretern wie Marketing-Papst Professor Dr. Heribert Meffert, der Ende der 1960er-Jahre den ersten Lehrstuhl für Marketing an der Universität Münster gründete, als „Nachlaufwissenschaft“, die analysiert, was in der Praxis längst gang und gä- be ist. Und statt die drängenden, großen Fragen zu beantworten – siehe oben – vergräbt sie sich in Details und damit in der Irrelevanz. Wenn beispielsweise die Wirkung der Beleuchtung im Supermarkt zwischen 22 und 24 Uhr analysiert werde, habe das wenig Bezug zu den Bedürfnissen der Marketer, spottete Meffert kürzlich gegen- über der „absatzwirtschaft“.

Aber es ist nicht nur die Verwunderung eines alten Mannes, der das Marketing in Deutschland geprägt hat, die aus diesen Worten spricht. Er hat auch dieses Thema wissenschaftlich durchleuchtet, mit ernüchterndem Ergebnis: Nur acht Prozent der befragten Marketer nutzen wissenschaftliche Erkenntnisse intensiv für ihre tägliche Arbeit.

Man stelle sich vor, bei den Ärzten wäre das genauso …