Ist ein deutsches Marketing Science Institute (MSI) das Gebot der Stunde?

Die Titelstory in absatzwirtschaft 6/2012 hat das Verhältnis von Marketing-Forschung zum Thema. Auf die Wunschliste der Diskussionsteilnehmer ganz oben: eine Einrichtung wie das Marketing Science Institute (MSI) in den USA. Das MSI ist als Non-Profit-Organisation dem Brückenschlag zwischen Theorie und Praxis im Marketing verpflichtet, unterhält ein eigenes Forschungsprogramm, veröffentlicht die Ergebnisse und setzt die Agenda für die Marketingforschung in den USA. Damit liefert es Wissenschaftlern und Praktikern Orientierung. Die derzeitigen Top-Themen:

  • Using Market Information to Identify Opportunities for Profitable Growth
  • Understanding Customer Experience and Behavior
  • Developing Marketing Capabilities for a Customer-focused Organization
  • Identifying and Realizing Innovation Opportunities
  • Delivering Value Through Enhanced Media and Channels
  • Managing Brands in a Transformed Marketplace
  • Allocating Resources to Marketing Activities
  • Leveraging Research Tools and New Sources of Data

Klingt sehr vertraut. Wenn ich mit Marketing-Professionals in Deutschland rede kommen ähnliche Themen zu Sprache. Der Wunsch nach einer solchen Organisation in Deutschland klingt erstmal nachvollziehbar. Professor Björn Bloching von Roland Berger Strategy Consultants erklärte im Roundtable: “So eine Organisation zu etablieren, ist ein Gebot der Stunde. Wenn wir dann noch in der Lage wären, in den Unternehmen für eine Akzeptanz des Überbaus zu sorgen – also ein echtes Verständnis von Kundenzentrierung und Marketing zu schaffen -, und den jungen Menschen, die von der Uni kommen und , rigorous’ sind, erlauben, ihr Wissen anzuwenden, dann haben wir eine Befruchtung in Richtung Praxis und Universität. Denn die deutsche Wirtschaft ist zwar im Vertrieb gut aufgestellt, im Marketing hat sie aber eindeutig ein Defizit – wie gut wären wir, wenn wir das auch noch könnten?”

Wie ist Ihre Erfahrung mit dem Brückenschlag zwischen Theorie und Praxis im Marketing? Elfenbeinturm versus echtes Geschäftsleben? Oder befruchtend? Oder nicht existent? Und wäre ein deutsches MSI das Gebot der Stunde? Kommentare von Studenten, Marketing-Praktikern und Wissenschaftlern sind willkommen!

 

 


Comments

2 responses to “Ist ein deutsches Marketing Science Institute (MSI) das Gebot der Stunde?”

  1. Das Thema Forschungstransfer poppt im Marketing seit 1980 immer wieder auf. Und das ist richtig. Aktuell haben wir an den deutschen Hochschulen im Durchschnitt 2,02 Marketingdepartments bzw. lehren 2,02 Professoren je BWL-Fakultät (Marketing & Handel /Industriegüter). Studenten lernen hier – mehr als in vielen anderen Disziplinen – das Denken eines einzelnen Wissenschaftlers bzw. dessen Fachbuch auswendig. Was ist eigentlich „Branding“? Fünfmal gefragt, fünf verschiedene Antworten bekommen. Das Marketing hat es als Metatheorie ohne eine gemeinsame formale Sprache – wie wir das bei Finanzierung, Produktionstechnik, Bilanzrecht oder Operations Research etc. haben – besonders schwer in der akademischen Welt. Das erste Argument für eine übergeordnete Agenda für die Marketingforschung.
    Aus den eigenen Reihen musste sich die Marketingwissenschaft schon vor einigen Jahren und immer wieder einmal – beispielsweise in den kritischen Bilanzen von Bruno Tietz (1993) und Werner Hans Engelhardt (1997) – den Vorwurf der „Nachlaufwissenschaft“ anhören, d. h. dass die disziplinäre Auseinandersetzung im Marketing maßgeblich durch Fragen oder Lösungen bestimmt wird, die von der Praxis ausgehen und dann von wissenschaftlicher Seite aufgegriffen werden. Dies konnte das Marketing bislang nicht durch einen spürbaren Richtungswechsel widerlegen. Markenbewertung, Neuromarketing, Kundenwertforschung und anderes. Viele zentrale Themen kamen in den letzten Jahren aus der Praxis. Eine übergeordnete Agenda für die Marketingforschung kann auch wieder zu mehr Speerspitzenfunktion der deutschen Wissenschaftler im globalen Gefüge führen.
    Und nun noch ein ganz pragmatisches Argument. Mit Geotracking, Smartphones, Apps, Augmented-Reality, Semantic Web, RFID und Co. trifft die Welt der Marketingausbildung schon heute auf eine nie gekannte Technisierung. Unvorstellbare Menge an verschiedenen digitalen Informationen mit einem massiven Anstieg des Datenvolumens. Die zunehmende Abhängigkeit der Marketingdisziplin von Technologie führt einerseits zu noch mehr „Nachlaufen“, aber viel zentraler: Welches einzelne Marketinginstitut kann – auch mit Drittmittel – in Zukunft noch das Geld für echte Grundlagenforschung stemmen? Ein übergeordnetes Institut wäre ein Schritt hin zu einer Lösung!
    Ein deutsches Marketing-Kompetenzzentrum, in dem sich Marketingstrategie & Marketingkreation begegnen. Idealerweise innovative Ausbildungsmodelle, z.B. in Kombination geführte Marketing-Lehrstühle mit a) einem Forschungs-Anarcho und b) einem Praktiker. Weniger Dozieren, mehr Dialog und mehr Konfrontieren. Ich persönlich fänd das gut.
    Das Marketing benötigt in Zukunft mehr denn je ein synergetisches Zusammenspiel von Forschung und Kreativität. Dazu müssen wir gezielt Teilsysteme in unserer Marketingwelt verändern. Auch in der Marketingwissenschaft.

  2. Hallo Herr Nickel, danke für den Kommentar, der einige wichtige Aspekte hinzufügt! Ihren Hinweis auf die Technisierung des Marketing und die “Big Data”-Herausforderung finde ich ganz wichtig!! Beste Grüße, Christoph Berdi

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