Das Attentat auf Donald Trump und die Macht der Bilder

Ikonische und noch dazu historische Fotos haben mich schon immer fasziniert und herausgefordert. Unter anderem, weil sie mitunter das Grauen ästhetisieren und durch die Kunstfertigkeit des Fotografen die Bedeutung und Wirkung von Ereignissen immens verstärken. Meine Prüfung im Zweitfach Geschichte an der TU Dortmund habe ich über das berühmte Foto von Robert Capa aus dem Spanischen Bürgerkrieg abgelegt. Der Partisan, der in vollem Lauf erschossen wird und nach hinten wegkippt, den rechten Arm mit dem Gewehr nach hinten werfend, ist ein Monument. Aber ist es authentisch? Das ist zumindest umstritten, weil möglicherweise der von Capa angegebene Ort nicht stimmt, und weitere Bilder vom gleichen Ort existieren. Das spricht zumindest gegen die Hitze eines Gefechts. Vielleicht, so eine Mutmaßung, ist der Mann erschossen worden, während er für ein Foto posierte. Auf Wikipedia ist die Diskussion darüber ganz gut wiedergegeben. 

„Und weil ein Bild mehr sagt als hunderttausend Worte, so weiß jeder Propagandist die Wirkung des Tendenzbildes zu schätzen: von der Reklame bis zum politischen Plakat schlägt das Bild zu, boxt, pfeift, schießt in die Herzen und sagt, wenns gut ausgewählt ist, eine neue Wahrheit und immer nur eine.“
Kurt Tucholsky, 1926

Ein anderes Foto: Die Flagge auf der japanischen Insel Iwojima. Dieses Bild kam mir als erstes in den Sinn, als ich die Bilder vom Attentat auf Donald Trump gesehen habe. US-amerikanische Soldaten errichten die Flagge gegen Ende des Zweiten Weltkriegs auf der japanischen Insel, noch während dort gekämpft wurde. Ein Foto von Durchhaltevermögen, Willen und Triumpf. Sechs Soldaten, die gemeinsam den Fahnenmast aufrichten. Hier liegt die Sache klar: Das Foto ist gestellt. Die originäre Aktion – der Aufbau der Flagge hat tatsächlich stattgefunden – war den Militärbehörden nicht ausdrucksstark genug, die dabei verwendete Flagge zu klein, so dass eine Wiederholung mit mehr Theatralik und neuer Fahne angesetzt wurde. Die finale Pose ging um die Welt und wurde natürlich dafür eingesetzt, die Moral der Truppe weiter zu stärken.

Fotos als Mythen und Statements

Beide Fotos, ob gefakt oder nicht, sind Mythen, Statements, deren visuelle und kontextuelle Kraft so ausdrucksvoll ist, dass sie bis heute eine beachtliche emotionale Wirkung entfalten. Capas Foto symbolisiert die Ablehnung von Gewalt, Krieg und Faschismus. Iwojima für Siegeswillen der USA. So irre es für das zerrissene Land klingen mag – es steht auch für Zusammenhalt und Gemeinschaft.

Zeitsprung ins Hier und Jetzt, zum 13. Juli 2024: Trump mit blutendem Ohr. Der Instinktpolitiker musste wahrscheinlich gar nicht überlegen, wie er den Moment nutzt, sondern hat intuitiv reagiert: Kaum aufgetaucht hinter dem Rednerpult, erhebt er die Faust gen blauen Himmel; die amerikanische Flagge weht genau dort, wo sie für ein solches Foto sein musste. Sein Gesichtsausdruck: entschlossen. ‚Seht her, ich, der Märtyrer, nichts haut mich um. Ich kämpfe weiter, wir kämpfen weiter. Egal, wer auf mich schießt.‘ Diese Momentaufnahme des Fotografen Even Vucci ist nicht nur voller ästhetisierter Symbolik, sondern echt. 

Wie heißt es noch in obigem Zitat von Kurt Tucholsky: „… eine neue Wahrheit und immer nur eine“.

Eine neue Wahrheit

Hier Joe Biden, unter Druck wegen seiner schlechten Performance im TV-Duell mit Trump und wiederholter Versprecher und Aussetzer. Selbst hochrangige Demokraten zweifelten an seiner Fähigkeit, die Präsidentschaftswahl zu gewinnen sowie für weitere vier Jahre ein guter Präsident zu sein. Dort Donald Trump. Zunächst für alle seine Fans und wohl auch viele, die noch unentschieden bei ihrer Wahlentscheidung sind, der Überlebende. Der Starke. Der Kämpfer. Dass der Schütze bei Trumps Rede in Pennsylvania einen Menschen getötet und mehrere schwer verletzt hat – was unfassbar traurig ist und die eigentliche Nachricht sein sollte –, ist sofort zur Nebensache geworden. So zynisch ist das Geschäft mit den Bildern und der Propaganda. 

Keine zwei Wochen nach dem Vorfall hat sich Joe Biden – nun endgültig als der Schwache abgestempelt – aus dem Rennen um die Präsidentschaft zurückgezogen. Vizepräsidentin Kamela Harris ist die neue designierte Präsidentschaftskandidaten der Demokraten. Nur solch drastische Maßnahmen durchbrechen die neue Wahrheit der Bilder – und lassen in diesem Fall Donald Trump plötzlich alt aussehen. .


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