„Markdown“ und „Distraction Free Writing“ – diese zwei Stichworte kennzeichnen eine recht junge Klasse von Schreibprogrammen. Viel- und Kreativschreiber finden in den zahlreichen Angeboten sinnvolle, geradezu befreiende Alternativen zu Microsoft Word oder anderen Office-Programmen.
Als Standardprogramm ist Microsoft Word mit einem Funktionsumfang gesegnet, der vom tausendfachen Serienbrief über komplexe Layouts bis hin zu riesigen Fußnotenapparaten alles ermöglicht. Immer neue Versionen, immer mehr Möglichkeiten. Und lange Zeit kaum Alternativen. Für mich war Word nie die ideale Umgebung für kreatives und journalistisches Schreiben. Mir gefallen seit jeher Programme, die mich mit meinem Text allein und ansonsten in Ruhe lassen. So trauere ich ernsthaft den Zeiten von Wordperfect für DOS nach, mit dem ich um 1990 Beiträge für Ruhr-Nachrichten, Süddeutsche Zeitung, Deutsche Welle und fürs Studium textete. Ein blauer Bildschirm, mein Text und sonst… nichts. Mit Version 5.1., wenn ich es recht entsinne, wurden damals Klappmenüs eingeführt. Wie furchtbar.
Überbordende Vielfalt
Natürlich habe ich selbst bestimmt 95 Prozent meiner Artikel, Briefe und Ausarbeitungen mit Word geschrieben. Word ist gesetzt, in Unternehmen kommt man um die Software oder einen ihrer Klone überhaupt nicht herum. Doch mich stören die unzähligen Funktionen, die mich ständig befragen, ob ich nicht irgendetwas geschickter oder besser lösen könnte. Diese Gimmicks, die den Spieltrieb wecken. Dieser beständige Hinweis auf die Welt hinter der Software mit ihren News, Videos, Social Networks. Es soll Menschen geben, die sich durch nichts in der Welt von ihrer Aufgabe ablenken lassen. Glückwunsch. Für die mag Word perfekt sein.
Konzentration aufs Wesentliche
Für alle anderen gibt es seit einigen Jahren das Konzept des „Distraction Free Writing“: Recht einfache Editoren, ohne Ballast und Schnickschnack, mit rudimentären Fähigkeiten, aber allem, was ein Autor essentiell benötigt. Schreibmaschine de luxe. Da heißen die Dateien auch nicht unbedingt „Dokumente“ sondern auch schon einmal „Blätter“. Alle haben eines gemeinsam: Auf dem Bildschirm erscheint nichts außer Text, der Nutzer kann ihm nicht einmal einen Schriftfont zuweisen. Layouts lassen sich ebensowenig erstellen – nicht einmal simple. Der Bildschirm sendet keine störenden Signale, das Auge und die Gedanken bleiben auf den Schreibprozess fokussiert.
„Unser Schreibzeug arbeitet mit an unseren Gedanken.“ Friedrich Nietzsche
Geschrieben wird im Format „Markdown“, ein einfacher Standard, um Texte zu gliedern und auszuzeichnen. Eine handwerkliche Fähigkeit übrigens, die durch die Digitalisierung verloren gegangen ist. „Auszeichnen“ hieß in der vordigitalen Zeit, Manuskripte auf Papier mit Satzanweisungen für den Drucker zu versehen.
Bei Markdown-Programmen funktioniert das zum Beispiel so: Auf eine Raute # folgt eine Überschrift erster Ordnung, auf zwei ## folgt eine Überschrift zweiter Ordnung und so fort. In Sternchen gesetzt erscheint ein Text kursiv, von zwei Sternchen umrahmt wird er fett, mit dreien ausgezeichnet kommt er fett und kursiv daher. Meine Erfahrung damit ist… I am just writing away. Dabei stellt sich auch der hilfreiche Effekt ein, den der US-amerikanische Schriftsteller Jonathan Franzen in seinem Buch „Das Kraus-Projekt“ (2014) schildert. Zu seinen Schreiberfahrungen mit dem PC vergangener DOS- und früher Windows-Jahre sagt er:
„Er ,ernüchtert´, was man tut, er erlaubt es einem, es ungeschönt zu sehen.“
Distraction Free Writing in der Apple-Welt
Im Folgenden stelle ich einige Schreibprogramme für das „ablenkungsfreie Schreiben“ vor, allesamt aus der Apple-Welt. Nutzer von Windows-Rechnern mögen verzeihen, sich einmal „Write!“ anschauen und diese Übersicht ansonsten als Inspiration nehmen. Einige der folgenden Programme sind auch für Windows oder Android verfügbar. Generell gibt es viel mehr geeignete Programme als die vorgestellten, aber jeder der hier beschriebenen Editoren verfügt über zumindest eine Besonderheit. In der Regel gehören Versionen für Desktop, Tablet und Smartphone zum Angebot, und über Cloud-Angebote wie iCloud oder Dropbox lassen sich die Texte synchronisieren. Der Export im Microsoft-Format docx funktioniert, einige beherrschen weitere Ausgabe- und Blogformate.
Syntax: iA Writer
Das Programm meiner Wahl. Derzeit. Das Alleinstellungsmerkmal dieser App ist die Syntaxkontrolle. Der Schreiber kann Adjektive, Nomen, Verben, Adverbien und Konjunktionen farbig kennzeichnen. Ist der Stil aktiv genug? Gibt es Wortredundanzen? Sind überflüssige Adjektive vorhanden? Besonders für journalistische Texte erweist sich diese Funktion als nützlich, und wenn es schnell gehen muss, erleichtert sie die Qualitätskontrolle. Ich war schon auf dem Absprung zu einer anderen Software, weil iA den Nutzern lange Zeit einen Workflow aufdrängen wollte, mit den Stufen Note, Write, Edit, Read. Gut gemeint, aber die Macher konnten diesen Prozess nie wirklich auf Dateiebene abbilden. Glücklicherweise haben sie sich bei einem der letzten Updates davon verabschiedet. Jüngst hinzugefügtes Feature: die Verknüpfung mit den Blogging-Plattformen “Medium” und “WordPress”.
Für: Mac, iPhone, iPad, Android
Kompetent: Ulysses
Mit dieser Software liebäugele ich immer wieder. Es scheint mir, dass Ulysses das kompetenteste unter allen Markdown-Schreibumgebungen ist. Die Funktionalität ist größer als beim iA-Writer, und auch die weitergehenden Möglichkeiten, Texte und Textelemente zu organisieren, lassen das Programm interessant erscheinen. Den Screenshots im App-Store und vielen guten Bewertungen zufolge kommt das Programm so gut strukturiert daher, dass Profischreiber, die an längeren Manuskripten oder Büchern arbeiten, mit Ulysses eine ideale Umgebung finden. Die Liste der Features liest sich beeindruckend, und doch schafft es das Programm, in der Welt des Distraction Free Writing zu bleiben.
Für: Mac, iPhone, iPad
Alles drin, alles dran: Byword
In der Version 2.0 erscheint mit Byword als grundsolides Schreibprogramm, das aber einen besonderen Nutzen aufweist: Texte können nicht nur als Word- oder PDF exportiert werden, sondern auch direkt in Blogs (zum Beispiel WordPress, Tumblr oder Blogger) veröffentlicht oder in der Notizen-App Evernote gespeichert werden. Wer also die Editoren der Blog-Programme leid ist, ist mit Byword gut bedient, zumal sich auch Bilder aus dem Programm in die Posts laden lassen.
Für: Mac, iPhone, iPad
Unerbittlich: Flowstate
Dieses Programm wendet sich an alle, die am Ende des Tages Dutzende Websites angesehen, ihrer Liebe zu Facebook gefrönt, ganz nebenbei Youtube-Videos geschaut und dabei kaum etwas zu Papier gebracht haben. Also, für diejenigen, die sich gerne ablenken lassen, ist Flowstate ein Gedanke wert. Das Programm löscht nämlich den geschriebenen Text, wenn man nicht in der vorgegebenen Zeit dranbleibt. Das nenne ich mal konsequent. Wer sich vornimmt, 30 Minuten zu schreiben, der muss auch 30 Minuten an dem Text arbeiten. Sonst ist er futsch. Die Bewertungen im Apple App-Store sind erstaunlich gut.
Für: Mac, iPad
Om: Ommwriter Dana
Immer mit der Ruhe und bitte in einem guten Flow. Dafür steht der Ommwriter Dana. Ebenso wie die Hindus und Buddhisten heilige Silbe „Om“ stammt das Wort Dana aus dem Sanskrit und bedeutet Gabe, Geschenk. Mit sanften Hintergrundbildern und meditativen Klängen soll der Ommwriter Schreibblockaden verhindern oder lockern und überhaupt seinen Beitrag leisten, dass die Gedanken und der Text nur so fließen… eben ommmmmmmmmm. Viele und gute Bewertungen im Appstore.
Für: Mac, PC, iPad
Finger weg: Writeroom
Ich erwähne Writeroom hier nur, weil ich es vor Jahren in diesem Blog empfohlen habe. Laut Eintrag im App-Store wurde die Software aber 2012 zum letzten Mal aktualisiert, das klingt nicht vertrauenserweckend – also: besser ignorieren.
Die Kosten für Markdown-Editoren halten sich im Rahmen. Ulysses ist mit derzeit 44,99 Euro (Stand 25. März 2016) das teuerste dieser Programme. Der iA Writer liegt bei 9,99 Euro. Versionen für Tablet oder Phone kosten jeweils extra.Und der Vollständigkeit halber sei erwähnt: Auch Microsoft Word verfügt (in meiner Version von 2011) mit „Fokus“ über einen Modus, der an das Prinzip des Distraction Free Writing angelehnt ist. Das – Sie ahnen es! – wundert mich nun überhaupt nicht.
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