Alle sind online? Von wegen.

Auf ihrer diesjährigen Markenroadshow präsentierten Serviceplan, die GfK und der Markenverband ein Konzept zur Markenführung in Zeiten der Digitalen Transformation. Im Zentrum steht ein Modell, das die fürs Marketing wichtige Zielgruppe der Haushaltsführenden nach dem Grad ihrer digitalen Affinität segmentiert. Überraschung: 42 Prozent leben digital abstinent.

Die GfK hat Panels, die das Kaufverhalten und die Mediennutzung aufzeigen, mit klassischen Mediastudien wie dem Fernsehpanel der Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschungen zusammengeschoben. Auf Basis dieser “Datenfusion” können die Marktforscher drei Zielgruppen-Typen beschreiben:

  •  Non User, oder kurz “Nons“, die 42 Prozent der Zielgruppe der Haushaltführenden ausmachen,
  •  Standard User, die sogenannten “Stans“, die 25 Prozent repräsentieren,
  •  sowie die mobilen digitalen User, die “Modis”. Sie stehen für 33 Prozent der Zielgruppe.

Als “heavy user” sind die “Modis” für das Marketing natürlich besonders interessant. Viele greifen schon direkt nach dem Aufstehen zum Smartphone und sind sofort ansprechbar. Außerdem sind sie eigentlich dauernd und über verschiedene Geräte online, sodass sie mit von Hilfe Cookies und Retargeting auf verschiedenen Kanälen immer wieder gezielt adressiert werden können. Ein Schlaraffenland voller Touchpoints für Marketers und Mediaplaner, die auf dieser Klaviatur spielen können. Serviceplan, GfK und Markenverband sehen bei Marken, die eine überdurchschnittliche Anzahl der „Modis“ adressieren, signifikante Gewinne von Marktanteilen. Bei den „Stans“, die eher pragmatisch das Standardprogramm von Email über Google-Suche bis hin zu Produktrecherchen fahren, sieht die Kommunikationswelt schon weniger lukrativ aus. Die “Nons”, in der Mehrzahl Ruheständler, sind über digitale Kontaktpunkte kaum zu erreichen.

 

Title slide for Serviceplan

Eine Frage des Alters: Die Non User (“Nons”) sind überwiegend bereits im Ruhestand, während die “Modis” am Anfang ihres Berufslebens stehen. Grafik: GfK, Markenverband, Serviceplan

 

Betrachtet man aber manche Diskussionen über State-of-the-Art-Marketing, so entsteht jedoch leicht der Eindruck, es gehe nur noch um die „Modis“ und alles werde digital. Das sollten sich die Marketers aber gut überlegen: Die digital nicht aktiven „Nons“ sowie die pragmatischen „Stans“ stehen nach wie vor für zwei Drittel und damit die Mehrheit der Haushaltsführenden. Es bleibt deshalb eine Hauptaufgabe für viele Marken – bei allem Sturm und Drang zur digitalen Innovation – die Kommunikation mit diesen mehr oder wenigen „analogen“ Zielgruppen nicht zu vernachlässigen, selbst wenn die “Modis” die attraktivste Zielgruppe sind. Vielversprechend ist es offenbar, die Zielgruppen nicht getrennt anzusprechen, sondern vernetzt: Bei gleichem Budgeteinsatz seien so eine um zwölf Prozent größere Effizienz und in der Regel auch höhere Umsätze zu erzielen. Eine optimale Werbewirkung – so der auf der Roadshow kommunizierte Erfahrungswert – werde derzeit durch einen konvergenten Einsatz von analogen mit digitalen Medien im Verhältnis von 70 zu 30 Prozent des Budgets erreicht. Diese Ratio wird sich In Zukunft  jedoch zugunsten der digitalen Medien verschieben:

 

Title slide for Serviceplan

Noch machen die “Modis” nur ein Drittel der Haushaltsführenden aus, aber ihr Anteil wird kontinuierlich steigen. Grafik: GfK, Markenverband und Serviceplan.

 

Mit der Faustregel “70/30” allein ist natürlich ohnehin keine vernetzte Markenführung zu machen. Was es dazu nach Ansicht von GfK, Markenverband und Serviceplan im Detail braucht, zeigt dieses Papier mit Infos und Hintergründen zur Arbeit mit den „Nons“, „Stans“ und „Modis“, zu crossmedialer Mediaplanung, Retargeting, Touchpoints, Real Time Data, Content und Vertrieb.

Global, glokal, lokal

Hier mein Editorial aus absatzwirtschaft 8/2012, die heute erscheint:

Mit welchen Strategien Unternehmen ihre lokalen, regionalen und globalen  Märkte bearbeiten, lässt sich an mehreren Storys dieser Ausgabe exemplarisch  ablesen. Da ist zum einen Siemens-Gegenspieler General Electric (GE), der,  wie so viele US-amerikanische Unternehmen, die Heterogenität europäischer Märkte  unterschätzt hat. Die späte Erkenntnis, dass Deutschland “very special” ist,  führt nun zu einem Umdenken. Deutschland-Chef Ferdinando Beccalli-Falco  spricht im Interview ab Seite 12 unter anderem darüber, wie er den kleinteiligen  Energiemarkt mit Hunderten von Stromerzeugern besser bedienen will. Bisher, so räumt er ein, sei GE in Deutschland aufgestellt gewesen wie in Frankreich, wo  nur zwei Energieanbieter 90 Prozent des Marktes abdecken. (more…)

Antizyklisches Marketing – was bringt´s?

Antizyklisches Marketing – immer, wenn es in der Wirtschaft brennt, poppt diese Idee hoch und das Schlagwort schleicht in die Gedanken und Headlines. Nielsen Media Research hat jetzt vorgerechnet, dass die Top-100-Werbungstreibenden über Vorjahresniveau in die Above-the-Line-Werbung investieren. Das Bruttowerbebudget stieg in den ersten beiden Monaten um 12,5 Prozent. Das sind 150 Millionen Euro. Auch wenn hier die Brutto-Netto-Schere gnadenlos zuschnappen dürfte (wieviel ist bezahlt, wieviel Rabatt und Zugabe?), ist das ein ermutigendes Signal. Mehr nicht.

Nielsen tut gut daran, den Fachbegriff  “Antizyklisches Marketing” gar nicht zu benutzen. Denn es könnte sich bei dem Werbeboom auch um den Versuch handeln, für dieses Jahr abzuschöpfen, was noch abzuschöpfen ist. Ich neige zu dieser Ansicht und erinnere an eine GfK-Untersuchung von Beginn dieses Jahres, die einen Zeitverzug in der Krisenanfälligkeit der Privataushalte belegte. Subjektiv hat viele die Krise noch nicht erreicht. Zum einen wirken die Rückkehr zur alten Pendlerpauschale und die gesunkenen Energiekosten wie eine Einkommensspritze, zum anderen trifft die Krise den Arbeitsmarkt erst mit Verzögerung. Aber die Ruhe ist trügerisch. Ob die Unternehmen antizyklisches Marketing praktizieren, wird sich erst zeigen, wenn die Auswirkungen der Rezession auf den Privatkonsum in vollem Ausmaß sichtbar werden.

Jetzt rächt es sich, dass es außer flammenden Appellen zu offensivem Handeln und der einen oder anderen Case Study zum Thema wenig gibt. Die Marketing-Wissenschaft hat sich bisher nicht an das Thema “antizyklisches Marketing” herangetraut. Was für eine Lücke. So bleibt als Guideline die schon  in die Jahre gekommene Studie von Boston Consulting Group und Gruner & Jahr “Gegen den Strom”.

Die BCG-Berater Dr. Bernd Hauptkorn und Antonella Mei-Pochtler wiesen damals in dem Beitrag “Die Schwächen der Konkurrenz nutzen” für die absatzwirtschaft nach, dass antizyklisches Verhalten in vielen Branchenkrisen zu signifikanten Marktanteilsgewinnen führte. Sie fanden diesen Zusammenhang unter anderem für die Automobilindustrie (Krise 1993), die OTC-Pharmabranche (1998), Süßwaren (2001) und Versicherungen (1999). Einziger Ausreißer: der Textilhandel.

In dieser Headline und den hier wiedergegebenen Teilergebnissen liegt wohl nach wie vor ein Teil der Antwort auf die Frage, für wen antizyklisches Marketing lohnen kann. Wer in seinem Wettbewerbsumfeld und seinem Markt eine finanzierbare Möglichkeit sieht, Wettbewerber auszuhebeln, der möge seine Spendings hochfahren oder höher halten als der Rest. Als generelle Strategieempfehlung scheint  “antizyklisches Marketing” zu schwach, zumal die gesamte Diskussion mit der Einschränkung zu versehen ist: Gilt nur für Consumer-Märkte.

Die Notwendigkeit zur differenzierten Sicht belegen auch die Zahlen von Nielsen Media Research. Sie zeigen: Wer ohnehin viel in Werbung investiert, legt noch einmal eine Schüppe zu. Das gilt zum Beispiel für Spitzenreiter Media-Saturn, der brutto 19 Millionen Euro mehr und insgesamt 68 Millionen Euro in Werbung investiert hat. Andere stehen bereits auf der Bremse. Vodafone zum Beispiel hat in Januar und Februar nur noch ein Drittel des Vorjahresbudgets ausgegeben. Aber in ein paar Wochen werden wir wissen, wer die echten, strategischen Antizykliker sind und wer nur mal schnell den Absatz ankurbeln wollte. Jede Wette, dass vor allem der Handel sein Engagement hochhält.

Fachlich interessant wird sein, wie sich Procter & Gamble schlägt. P&G scheint auf pauschale Empfehlungen sowieso nicht angewiesen zu sein, denn die Company gilt als diejenige, die das so genannte Sales Modelling am intensivsten betreibt, also empirisch klärt, welchen Impact die Werbung auf den Abverkauf der Produkte hat. Wenn die Daten historisch weit genug zurückreichen, bis in die Krise in 2001/2002, wird P&G genauer als andere wissen, wie die Krise auf Absatz und Marktanteile wirkt – und was dagegen zu tun ist.